„Wie stillfreundlich ist Deutschland?“

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Am 05. Juni 2019 war die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) zu Gast in der Kalkscheune und rückte mit ihrer Fachkonferenz unter dem Motto „Wie stillfreundlich ist Deutschland?“ die Debatte um Stillen in der Öffentlichkeit in den Fokus.

Die Geschichte einer Moderatorin, die in Hamburg eines Lokals verwiesen wurde, als sie gerade ihr Kind stillte, wurde nur wenige Tage zuvor in den Medien kontrovers diskutiert und hat erneut gezeigt, welch heißes Eisen diese Thematik darstellt. So gibt es in Deutschland immer wieder Vorfälle, in denen eine stillende Mutter in der Öffentlichkeit als Problem empfunden wird.

Für Mütter bzw. Eltern ist diese Tabuisierung unverständlich, da das Wohl und die Versorgung eines hungrigen Kindes höchste Priorität hat und selbstverständlich bzw. nicht diskutierbar sein sollte innerhalb unserer Gesellschaft. Doch diese Selbstverständlichkeit funktioniert in der Öffentlichkeit so eben nicht. Warum das so ist, hat verschiedene Gründe: zum einen fehlt hier, wie in vielen gesellschaftlichen Themen, die Bereitschaft zum Perspektivwechsel. Für jemanden der keine Kinder hat, und auch wenig Zugang zu dem Thema, ist der Vorgang des Stillens in einem öffentlichen Raum verstörend und unappetitlich, da man zum einen nicht unbedingt als Fremder in den intimen bzw. sehr persönlichen Moment des Austauschs zwischen Mutter und Kind geraten will, und zum anderen das Entblößen der Brust als unpassend erachtet. Für eine Mutter, die ihr Kind stillt, ist die Brust in diesem Augenblick nichts weiter als eine natürliche und sehr praktische Milchbar, die die für ein Kind beste Nahrung jederzeit bereithält. Für einen Außenstehenden (und hierbei ist das Geschlecht völlig egal) ist eine entblößte Brust ein Fremdkörper in Café, Restaurant oder Ubahn. Brüste werden im gängigen gesellschaftlichen und sozialen Kontext nicht entblößt, genauso wenig wie Hintern. Das mag man für altmodisch halten oder spießig, aber so ist es nunmal verankert im gängigen Miteinander. Die Headline „Dann schau halt weg, wenn es Dir nicht passt“, die regelmäßig von Pro-Stillern artikuliert wird, ist hierbei auch nur wenig hilfreich, da diese Attitüde grundsätzlich wenig tut für ein funktionierendes Miteinander und auch nicht problemlösend wirkt, da es eben manchmal auch nicht so einfach umzusetzen ist, „wegzuschauen“, wenn z.B. im Café direkt hinter dem Gesprächspartner eine stillende Mutter sitzt. In vielen öffentlichen Räumen bzw. kulinarischen Treffpunkten fehlt es eben auch an möglicher räumlicher Distanz, Ausweichmöglichkeit oder Sich-aus-dem-Weg-gehen-können.

Beim Beispiel der stillenden Moderatorin, die des Cafés verwiesen wurde, ist es nun mal so, dass es in Deutschland das sogenannte Hausrecht gibt, welches dem Besitzer oder Betreiber einer Lokalität freistellt, wen er dort zu Gast haben mag und wen nicht. Er kann und darf frei entscheiden, wer oder was ihn selbst bzw. seine Gäste stört. Er ist im Recht und Punkt. Genauso, wie es Schwulenclubs gibt, in denen Frauen keinen Zutritt haben, Frauenfitnessclubs als NoGo-Area für Männer, Restaurants mit bestimmter Kleiderordnung oder FKK-Zonen, in denen man am Strand nur nackig rumlaufen soll, so gibt es eben auch Cafés, Restaurants oder Hotels, die keine Kinderwagen im Laden wünschen (The Barn), keine stillenden Mütter oder aber gar keine Kinder (Esplanade Hotel Bad Saarow), weil es eben nicht zum Konzept oder dem angebotenen Produkt passt. Das kann man jetzt fragwürdig finden, aber es gibt ja gerade in Städten wie Hamburg oder Berlin für jedes Bedürfnis und jede Befindlichkeit das richtige Lokal.

Warum es aber gerade dann, wenn Kinder, Kinderwagen, öffentliches Stillen oder dem Thema entsprechende Dinge kritisiert bzw. abgelehnt werden, zu derart großen Wellen führt, ist ja die eigentliche Frage... da kann man ja inzwischen schon jegliche politische Kontroverse entspannter umkreisen, als irgendeine Thematik im Bereich „Kind im öffentlichen Raum“. Es gibt inzwischen ein Überangebot an Möglichkeiten für Mütter/Väter/Kinder: Kitas, Spielplätze, Kinderbetreuung in vielen Freizeiteinrichtungen, Kinderkino, Kinderkonzerte, Kinderturnen, Kinderschwimmen, Mutti-Cafés, Mutti-Yoga, How-To-Dad, How-To-Mum, aber wenn der Kinderlose sagt „isch möschte das nischt“, wenn er für zu viel Geld einen Hipster-Kaffee genießen mag, oder mal für zwei Tage in Ruhe “Wellnessen” will, dann kommt der #Aufschrei.

Wo wir wieder beim Perspektivwechsel sind. Denn nicht jeder findet es okay, eine stillende Mutter zu sehen, nicht jeder findet es okay Kindergeschrei ertragen zu müssen, und nicht jeder findet es okay, wenn Kinderwagen den Weg versperren. Dabei geht es letztlich nur um ein gewisses Maß an Rücksichtnahme. Die Art von Rücksichtnahme, die Mütter und Väter von der Gesellschaft erwarten, ja beinahe einfordern, gilt eben beidseitig und tritt nicht ausser Kraft, wenn man ein Kind hat.
Und so kann man den Cafe-Besitzer einfach ansprechen und fragen, ob es in Ordnung ist, das Kind dort zu stillen. Man kann die Brust mit einem Tuch bedecken, damit der Anblick einer entblößten Brust, beim Kuchenessen nicht den Kontext sprengt, denn eine Brust ist eine Brust und wird auf dieser Welt (außerhalb der FKK-Kultur) niemals zu einem rationalen Gegenstand werden. Soll vielleicht auch gar nicht...